MÜNZINGHOF/VELDEN – Schon die Zufahrt mit rot und weiß blühenden Kastanien ist eine Augenweide. Den gleichen Eindruck macht Münzinghof, das schon mehrfach beim Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft – unser Dorf soll schöner werden“ gewonnen hat. Charakteristisch für das Dorf sind aber nicht nur die Häuser mit ihren schmucken Bauerngärten, sondern die Dorfgemeinschaft.
Jedes Haus hat einen schönen Namen wie „Haus am Eulenweg“, „Rosenhaus“, „Sonnenwinkel“, „Hollernhaus“ oder „Arkadenhaus“. 150 Menschen leben und arbeiten in diesem Ortsteil der Stadt Velden. Knapp die Hälfte sind erwachsene Menschen mit einer so genannten geistigen Behinderung. Vom sechsmonatigen Baby bis zum 85-jährigen Senior sind alle Altersgruppen vertreten. Das Zusammenleben in Familienstrukturen und zwei kleinen Wohngruppen klappt meist harmonisch. Statt einer Hierarchie mit Befehlen von oben gibt es Dorf- und Werkstattversammlungen, in der die wichtigsten Entscheidungen und etwaige Probleme besprochen werden. Nichts ist hier dem Zufall überlassen – abgesehen von der Tatsache, dass sich Paare innerhalb der Dorfgemeinschaft gefunden haben.
WOHNEN UND ARBEITEN IM DORF
Alles geht Hand in Hand, eine Werkstatt ist auf die andere angewiesen. Die Familien gehen in der Gärtnerei einkaufen, die Molke aus der Käserei wird den Schweinen verfüttert. Milch von eigenen Kühen, eigene Landwirtschaft und Gemüseanbau in Demeter-Qualität, Möbel für die Häuser und Geländer für jedes Treppenhaus – alles selbst gemacht! Der Dorfgemeinschaft gehören 16 Hektar Wald und sie bewirtschaftet etwa 80 Hektar Land. Ein Nahwärmenetz versorgt alle Häuser mit einer modernen Hackschnitzelheizung.
Der Münzinghof ist nicht nur als Einrichtung der Eingliederungshilfe ein Erfolgsmodell, sondern auch der größte Arbeitgeber der Stadt Velden. Über 100 Beschäftigte in Voll- und Teilzeit bringen sich in der Dorfgemeinschaft ein. In den zehn Werkstätten wird meist in Zweierteams mit den Menschen gearbeitet, für die ein Berufsleben ohne Anleitung und Assistenz nicht möglich wäre. Wo in anderen Betrieben kleine Handgriffe und damit Arbeitsplätze eingespart werden, sind solche Aufgaben für die Menschen mit Assistenzbedarf notwendig. Und auf eines sind alle stolz: Das Dorf kann sich quasi selbst ernähren.
KONTAKT ZU BETRIEBEN GEWÜNSCHT
Michael Taubmann (Mitglied der Geschäftsführung) erklärt das: „Es werden Lebensmittel hergestellt, die zum Teil selbst benötigt werden, zum Teil auf Biomärkten und in Bioläden verkauft werden. Ebenso werden Produkte aus den Werkstätten zum Teil verkauft. Andere Dinge muss die Gemeinschaft dazu kaufen.“ Dabei werden nach Möglichkeiten Lieferanten oder Handwerker aus der Region berücksichtigt. Unter dem Strich geht das - rein Euro-mäßig gesehen - Null auf Null auf. Gerne knüpfen die Menschen im Dorf Kontakte zu anderen Firmen. Manche suchen bewusst einen Praktikumsbetrieb außerhalb des Dorfes. Die Werkstätten freuen sich, wenn Betriebe wie das Auerbacher Leder- und Sportgeschäft Dörrzapf Artikel aus dem Sortiment selbst gefertigter Waren in Kommission nimmt und im eigenen Laden verkauft.
Die Bewohner haben geistige Beeinträchtigungen und kommen aus ganz Deutschland. Ein zwei- bis vierwöchiges Probewohnen wird in der Regel vorab vereinbart. Jeder künftige Bewohner soll sicher sein, dass er sich im beschaulichen Dorfleben wohl fühlt, erklärt Taubmann. Die Menschen in Münzinghof gehen offen und ehrlich mit den Anderen um. „Sie sagen frei heraus, wenn ihnen etwas nicht gefällt, und zeigen genauso unverblümt ihre Sympathie“, so Julia Schlegel. Sie ist nicht nur Hausverantwortliche, sondern auch in der Geschäftsführung tätig. Taktieren und um den heißen Brei herum reden sind den Bewohnern fremd, sie zeigen ihre Emotionen offen. Bei Kinoabenden könne man dies gut beobachten. Da werde mit den Filmhelden geweint und bei lustigen Szenen lauthals gelacht.
FAMILIÄRE STRUKTUR PRÄGT MÜNZINGHOF
Der Münzinghof ist eine von wenigen Einrichtungen dieser Art, in der die Mehrheit in einer familiären Struktur lebt. In jedem der malerischen Häuser leben Hausverantwortliche, zum Teil mit ihren eigenen Kindern, und acht bis zehn Menschen mit Unterstützungsbedarf. An einer großen Tafel wird gemeinsam gegessen. Eigene Zimmer geben einen Rückzugsraum. Die Arbeiten im Haushalt werden gemeinsam bewältigt. Aktuell leben zudem 20 Kinder von Mitarbeitern in Münzinghof.
Seit 1978 gibt es die Dorfgemeinschaft. Anfangs nur in drei Gebäuden, doch mit den Jahren ist Münzinghof gewachsen. Ein großes Wohnhaus – teils barrierefrei – in Passivbauweise ist das jüngste Gebäude. Hier leben seit neuestem Mitarbeiter im Ruhestand, die gerne in dem Dorf alt werden wollen, in dem sie ihre Lebensarbeitszeit verbracht haben.
FREIZEITANGEBOTE SCHWEISSEN ZUSAMMEN
Nach Feierabend kommen gemeinsame Freizeitbeschäftigungen nicht zu kurz. Es gibt viele Angebote und Möglichkeiten. Eine Band, Joga- und Schwimmgruppen, Fußball, regelmäßige Filmabende, Fahrten ins Hallenbad oder ins Kino, Theatergruppe, Tanzkurse und Mandala-Malen sind nur Beispiele. Die Bewohner können dabei selbst bestimmen, wie sie ihre Freizeit gestalten möchten. Besonders erfolgreich sind die Eisstockschützen. Die Gruppe, die jeden Mittwochabend in Velden trainiert, ist nicht nur Deutscher Meister, sondern sogar Vizeweltmeister bei den Special Olympics.
Gemeinschaftsaktionen wie die Apfelernte oder Geburtstagsständchen am Dorfplatz schweißen zusammen. Ganz bewusst gehen die Münzinghofer in der Freizeit auch raus aus dem Dorf, suchen Anschluss in den örtlichen Vereinen. „Es ist uns ganz wichtig, dass wir nicht abgeschottet hier leben“, erklärt Michael Taubmann. Der Veldener ist seit 22 Jahren in Münzinghof tätig, kennt jeden Bewohner und hat miterlebt, wie sich das Dorf in dieser Zeit sukzessive entwickelt hat. Als er anfing, lebten 32 Menschen mit Assistenzbedarf im Dorf; dazu kamen etwa gleich viele Beschäftigte.
AZUBIS DER WERKSTÄTTEN SIND TOP
Die Dorfgemeinschaft steht einerseits für soziales Miteinander verschiedenster Menschen aller Altersgruppen, auf der anderen Seite auch für qualitativ hochwertige Produkte und für eine gute Ausbildung. Mehrere Lehrlinge im Metallbau waren schon Innungsbeste, einer sogar Bester in Bayern. In allen Bereichen werden Ausbildungsplätze angeboten: In Gärtnerei, Landwirtschaft, Käserei, Schreinerei oder als Heilerziehungspfleger. Auch Plätze für Praktika oder die Möglichkeit, ein Freiwilliges Soziales Jahr im Dorf zu machen, sind gegeben.
Ebenso kann man sich als Ferienbetreuer bewerben. Man fährt dann auf Kosten der Einrichtung mit einer Gruppe von Bewohnern und fachlicher Unterstützung in Urlaub, hat nette Kontakte und Erholung und bekommt dafür sogar Geld. Viele fühlen sich auf Anhieb wohl und bleiben länger. Wie zum Beispiel Sarah aus Bonn. Sie machte nach dem Abitur ein Soziales Jahr, lernte den Münzinghof schätzen und schloss eine Ausbildung als Bäckerin an.
INFO:
Näheres über das Leben und Arbeiten in der Dorfgemeinschaft sowie einen Onlineshop mit den Produkten aus den Werkstätten gibt es unter: http://www.muenzinghof.de
Brigitte Grüner
Redaktion